Eigentlich sind es sogar zwei Tage. Letztes Jahr am 15. Februar hatte Martin sein Bewerbungsgespräch für den Master in Shanghai. Ich hatte ihn für den Abend eingeladen, entweder, um zu feiern oder uns zu betrinken. ;) Am gleichen Tag kam auch mein Cousin Bryan mit seiner Klasse nach Weimar. Wir sahen uns quasi das erste mal, denn bei unserem letzten Treffen waren wir beide noch so klein, dass wir uns nur durch Fotos daran erinnern konnten. Wir spazierten durch den Ilm-Park, der vor Schnee überquoll, sodass bald auch meine Schuhe durchnässt waren. Während der Museumsbesuche vertrieb ich mir die Zeit im PC-Pool der Uni, wo ich erfuhr, dass wir am Abend tatsächlich feiern würden. Ich freute mich für Martin, doch gleichzeitig schwang auch etwas Traurigkeit mit … Meinem Cousin erzählte ich nach dem Museum, dass ich gerade erfahren habe, ein sehr guter Freund würde bald 1 Jahr nach Shanghai gehen. Er versuchte mich gleich damit zu trösten, dass wir doch über Skype guten Kontakt halten könnten. :) Das war lieb. Aber ich hatte ja auch das Kribbeln im Bauch verschwiegen.
Als ich nach Hause kam, stellte ich den prallgefüllten Beutel auf den Tisch und fing gleich an, den Teig für die Pizza vorzubereiten. Dazu suchte ich mir fröhliche Musik raus und tanzte wie in diesen schrecklich kitschigen Filmen durch die Küche. Martin brachte eine Flasche Sekt mit und wir umarmten uns … Taten wir das tatsächlich? Ich weiß es gar nicht genau. Aber ich hatte mir auf jeden Fall vor seinem Eintreffen ausgemalt, wie wir das tun würden.
Wir redeten die ganze Nacht durch. Die Zeit verging wie im Flug und durch die geschlossenen Lamellen der Jalousien versuchten sich die ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer zu zwängen. Er wollte nicht gehen und ich wollte ihn nicht nach Hause schicken. Wir hätten noch ewig so weitermachen können. Aber ich sagte gegen 8 Uhr morgens: „Ich treffe mich 18 Uhr mit den Mädels. Und vorher sollte ich unbedingt noch ein bisschen schlafen. Dir bleibt also nicht mehr viel Zeit.“ Wortwörtlich kann ich mich natürlich nicht mehr genau daran erinnern, aber irgendwie war es schon ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl. ;)
Dieses Jahr genossen wir deshalb auch unseren Jahrestag an zwei Tagen. Am 15. Februar unternahmen wir einen Spaziergang im Sonnenschein in einem Park mitten im Shanghaier Zentrum. Hier schenkte ich Martin etwas, dass er am nächsten Tag schon wieder entbehren würde müssen.
Auf dem Weg zum Lujiazui Central Green Land.
Ein großer Teich voller Kois, die hungrig nach Brotstückchen schnappten und dafür sogar (fast) an Land gingen.
Sonne tanken. Auch für die Katze. (Ein Bild von vorn folgt.)
Am Abend hatte sich Martin eine besondere Überraschung für mich ausgedacht. Es würde Pizza geben, genau wie letztes Jahr. Aber nicht in einer kleinen WG-Küche, sondern im Jin Mao Tower, im 56. Stock. Mit vollverglasten Wänden, sodass wir über die leuchtende Stadt schauen konnten. Vom 5. höchsten Gebäude in ganz China. Der Tower war nobel, von unten bis oben. Uns wurde der Weg zum Aufzug gewiesen und die Tür aufgehalten. Wir mussten umsteigen, da kein Fahrstuhl die gesamte Höhe durchfahren könnte. Deshalb gibt es davon 130 Stück, die mit einer Geschwindigkeit von 9m/s fahren. Nachdem wir königlich gespeist hatten, wagten wir noch einen Ausflug in den 88. Stock, in dem sich die berühmte Bar Cloud 9 befindet.
Hier noch bei Tag: links der Flaschenöffner, rechts der Jin Mao Tower, den man auch als Pinsel bezeichnet.
Am 16. Februar fuhren wir weit aus Shanghai hinaus. Nach Thames Town, einem englischen Städtchen, das 30 km vom Stadtzentrum entfernt liegt und zu den 9 New Towns zählt, die nach verschiedenen europäischen Vorbildern gebaut wurden. So gibt es zum Beispiel auch ein italienisches, spanisches oder schwedisches Städtchen. Wie ich mal gehört habe, wurden diese gebaut, um die Menschen aus der überbevölkerten Stadt zu locken. Allerdings ist Thames Town kaum bewohnt, da die Chinesen der Meinung sind, der Wiederverkaufswert würde durch die Nutzung sinken.
Diese Brücke führte über den Fluss ins englische Städtchen. Hier brachten wir unser Schloss an, dass uns für immer miteinander und auch mit unserer gemeinsamen Zeit in Shanghai verbinden soll.
Wie es das Ritual verlangt, warfen wir „1 … 2 … 3!“ unsere beiden Schlüssel in den Fluss.
Die Kirche wurde der Bristoler nachempfunden. Auch andere englische Replike und Statuen wie zum Beispiel Diana oder Harry Potter auf seinem Nimbus fliegend, findet man hier.
Das Städtchen war tatsächlich wie ausgestorben. Ich musste an den Film „House of wax“ denken, bis plötzlich ein paar Kinder die Straße entlang liefen und Englisch miteinander sprachen. Das war wirklich eigenartig, hatte man sich doch schon so sehr an die chinesischen Sprachlaute gewöhnt.
Erschöpft von dem langen Fußmarsch machten wir uns auf den Heimweg. So ging auch der zweite Tag bald zu Ende. Vor einem Jahr hätten wir sicher nicht damit gerechnet, diese Tage 8621 km entfernt vom Ort, an dem wir uns kennengelernt haben, zu verbringen. Und es war wieder ein einmaliges Erlebnis.
Während wir schon schlummerten (3 Uhr nachts), begann in Deutschland die Preisverleihung des Filmfestivals FILMthuer, bei dem unser Film gelaufen war, durch den wir uns überhaupt erst kennengelernt hatten – und gewann unglaublicherweise auch noch den Hauptpreis – die Goldene FilmThuer!